interview

„Ich träume von einer Art Akademie, an der man für den außerunterrichtlichen Bereich sportpädagogisch ausgebildet wird. Wo all diejenigen, die in Vereinen, im Ganztagsbereich arbeiten und auch von SPORT VERNETZT angesprochen werden, eine zielgerichtete, coole und innovative Ausbildung bekommen.“

Tim Bindel lehrt als Professor für Sportpädagogik und Sportdidaktik an der Universität Mainz und spricht im Interview über die Chancen, die Sport für schwierige Sozialräume bietet, digitale Angebote und seinen Traum.

Herr Prof. Bindel, welche Rolle spielte der Sport in Ihrer Kindheit?

Sport hat mich immer schon interessiert, ohne dass ich je Profi war oder nach der Schule direkt ein Sportstudium anfangen wollte. Eigentlich habe ich Elektrotechnik studiert, das war mir aber zu einseitig. Auf der Suche nach einem Zweitfach erinnerte ich mich, dass mir Sport als Kind immer viel Spaß gemacht hat. Ich probierte Leichtathletik und Langstreckenschwimmen aus, spielte Squash und Hockey – aber alles immer aus Spaß. Also habe ich Sport studiert und erhielt anschließend eine Promotionsstelle in Wuppertal. Der Kinder- und Jugendsport und seine unterschiedlichen Macharten sind zu meinem Thema geworden: selbstorganisiert, im Schulsport, im Sportverein, in Familien. Wie verändert sich das? Wie wird aus Spielen Sporttreiben, wie bleibt Sporttreiben Spielen?

Wie kam nun die Verbindung zu ALBA BERLIN und SPORT VERNETZT zustande?

ALBA und Henning Harnisch haben ein ganz offenes Interesse an Wissenschaft, wie ich es so noch nicht kennengelernt habe. Ich spüre zum ersten Mal, dass da ein Verein ist, der fast wissenschaftlich eine Metaperspektive einnehmen möchte und von außen auf den Sport gucken kann. Das ist für mich etwas Neues und Besonderes – dass man nicht so tief versunken ist als Spitzensportler und alles toll findet, was da passiert, sondern dass man diese Kultur eben nur als eine Möglichkeit sieht.

Mainz und Rheinland-Pfalz gelten landläufig als relativ wohlhabende Gegenden. Warum ist die SPORT VERNETZT-Arbeit auch hier wichtig?

Es gibt auch in Mainz Sozialräume, die interessant sind. So arbeitet der SC Lerchenberg als Verein in einem solchen Sozialraum, mit hoher Migration, hoher Arbeitslosenquote, mit zu wenigen Angeboten. Neben Mainz haben wir uns noch Ludwigshafen und Worms ausgesucht. In Rheinland-Pfalz liegen die mit am höchsten verschuldeten Kommunen Deutschlands – vor allem im ländlichen Bereich. Dort war der Verein traditionell ein sehr starker Player im Kinder- und Jugendsport. Aktuell droht das in manchen Sportarten wegzubrechen. Durch das große Freizeitangebot passiver Art, das mittlerweile im Medienbereich geboten wird, ist es schwierig für die Vereine, mit dem seit 30 Jahren gleich gebliebenen Angebot Kinder und Jugendliche zu binden.

Welche Rolle können digitale Angebote spielen?

Die ALBAthek bietet Content für Lehrkräfte und Fachkräfte im Sport – ob im Kindergarten, im Verein oder in der Schule. Da müssen wir natürlich differenzieren. Eine Stunde im Verein ist etwas anderes als im Schulsport. Wie wird aus den Angeboten ein Bildungsangebot? Was leistet eigentlich der Mensch in einem solchen Unterricht? Je mehr gutes Material es gibt, desto wichtiger wird das individuelle Lehren, die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schulkindern.

Welche Entwicklungen und neue Wege beobachten Sie aktuell im sportpädagogischen Bereich? Wie laufen Eure Projekte?

Ich merke, dass die sozialpädagogische Denkweise im Sport sich ausdehnt. Der Nachwuchs denkt mehr an Diversität, an Benachteiligung, an Ungerechtigkeiten im Sport. Das Thema Teilhabe wird prominenter, sodass Gesundheit nicht mehr die einzige Legitimation für pädagogische Inszenierungen im Sozialraum ist. Wir merken außerdem, dass der klassische Verbesserungs- und Wettkampfsport an Popularität im Kindes- und Jugendalter verliert. Wir treiben jetzt eine große Studie voran, die hoffentlich Klarheit über Beteiligungen, Bedenken und Bedürfnisse junger Menschen im Sport liefert. Wir denken, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel nun auch stärker in der Positionierung junger Menschen zum Sport zeigt. Da wollen wir mitdiskutieren und Wissenschaft so betreiben, dass wir beraten können. Noch immer fehlt ein Konzept für die Frage: „Wer begleitet Kinder und Jugendliche, die ohne Talent aber mit viel Freude Sport erleben möchten – ohne immanente Verbesserungs- und Wettkampflogik?“ Wir werden bald belegen, dass die Beantwortung dieser Frage der Schlüssel zum neuen Sport ist.

Den Universitäten kommt bei der Ausbildung sicher eine wichtige Aufgabe zu. Welche Projekte würden Sie in Zukunft noch gerne angehen?

Ich träume von einer Art Akademie, an der man für den außerunterrichtlichen Bereich sportpädagogisch ausgebildet wird. Wo all diejenigen, die in Vereinen, im Ganztagsbereich arbeiten und auch von SPORT VERNETZT angesprochen werden, eine zielgerichtete, coole und innovative Ausbildung bekommen. Da wäre eine Universität wie unsere ein guter Partner, um so etwas zu organisieren. Dann habe ich Lust, das Thema noch stärker in den wissenschaftlichen Bereich hineinzuziehen und mit dem Verein in das Thema Jugendsport einzusteigen.

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