interview

„Die Ganztagsschule ist für mich ein Ort, an dem wir alle Kinder erreichen und den Übergang zu den Vereinen herstellen können. Im ganztägigen Sport entsteht eine neue Säule des Sports. Sowohl die Schulen als auch die Vereine können davon profitieren.“

Jessica Süßenbach ist Professorin für Sportpädagogik und Sportwissenschaft an der Leuphana-Universität Lüneburg und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Ganztagsschule.

Frau Prof. Süßenbach, ab 2026 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Anspruch auf schulische Ganztagsbetreuung. Sie beschäftigen sich bereits seit vielen Jahren wissenschaftlich mit dem Thema. Woher kommt Ihr Interesse?

Ich habe während meiner Promotion im Ruhrgebiet an einer Essener Hauptschule gearbeitet. Jeden Nachmittag haben wir Sportangebote für Jugendliche organisiert, die den Anschluss verloren hatten. Wir haben versucht, sie über den Sport wieder an Bildungsangebote heranzuführen. Die Ganztagsschule ist für mich ein Ort, an dem wir alle Kinder erreichen und den Übergang zu den Vereinen herstellen können. Im ganztägigen Sport entsteht eine neue Säule des Sports. Sowohl die Schulen als auch die Vereine können davon profitieren.

Haben Sie eine Empfehlung an die Vereine, wie sie sich dem Thema Ganztagsschule nähern sollten?

Mit dem Rechtsanspruch auf eine ganztägige Förderung (GaFöG) ab 2026 wird es für Vereine notwendig, sich dem Thema Ganztagsschule strategisch und nachhaltig zu nähern. Kinder verbringen zunehmend mehr Zeit in Bildungsinstitutionen und damit verlagert sich auch der Bewegungsalltag in die Ganztagsschule – ein in weiten Teilen der Schullandschaft wenig bewegungsaffiner Ort. Der „Weg“ der Vereine in die Ganztagsschule beginnt mit niedrigschwelligen Begegnungen (Schulfeste, Projekttage, Aktionstage in Sportvereinen etc.), die bspw. über einen Kreis- oder Stadtsportbund, aber auch von Sportvereinen, die sich als „Treiber“ verstehen, initiiert werden. Ein „Runder Tisch“ mit positiv motivierten Menschen aus Schule und Vereinen unter Einbezug der Leitungsebene – auch die der Kommunalpolitik – ist entscheidend, um gemeinsame Ziele und Handlungsgrundlagen zu entwickeln. Die Kooperation mit Schulen für den Sport im Ganztag bietet dem Verein gerade jetzt eine Möglichkeit der Mitgestaltung, die es bislang in der Form noch nicht gab. Dabei gilt es den Blick auf die Qualität und Verlässlichkeit der Angebote zu richten. Aus unserer Sicht ist eine Profilierung der Vereine verbunden mit einer Professionalisierung für ein neues Setting im Sport. Hier kann der Sportverein im Kontext einer kommunalen Bildungslandschaft ein wertvoller Akteur für die Ganztagsschulentwicklung werden.

Im Rahmen von SPORT VERNETZT arbeiten Sie in einem Lüneburger Sozialraum daran, die Übergänge zwischen den einzelnen Bildungsträgern zu verbessern und Sportbiografien zu ermöglichen. Wie sieht das konkret aus?

Im Stadtteil Kaltenmoor gibt es bereits einen solchen Mikrokosmos. Eine Fachkraft der Kita gestaltet zusammen mit einem Sportlehrer der Anne-Frank-Grundschule ein Bewegungsangebot für eine gemischte Gruppe aus älteren Kitakindern und Erstklässler:innen. Die Kitakinder kommen dann nächstes Jahr in die Schule und bleiben in dem Angebot. Sie übernehmen anschließend Verantwortung für die Jüngeren, was für eine kindliche Entwicklung durchaus wichtig ist. Der nächste Übergang, an dem wir arbeiten, ist der von der vierten zur fünften Klasse.

Aus der Forschung wissen wir, dass diese Übergänge, von der Kita zur Grundschule bis zur Sekundarstufe, problematisch sind. Hier verlieren Kinder oft den Anschluss, die zuhause nicht genug Unterstützung erhalten. Wir brauchen einen starken Schulsport, der sich zu Sportvereinen öffnet und umgekehrt. „Weiche“ Fächer wie Kunst, Musik oder Sport werden zunehmend gekappt und häufig fachfremd – weniger konzeptionell und qualitativ – unterrichtet. Das ist eine Chance für diejenigen Vereine, die sich als Bildungspartner verstehen. Es geht nicht darum, die Lehrkräfte zu ersetzen, sondern ein Bindeglied zwischen Verein und Schule zu schaffen.

Wo sehen Sie in fünf Jahren SPORT VERNETZT in Lüneburg?

Ich würde mir wünschen, dass das Projekt in Lüneburg eng mit der Leuphana-Universität verzahnt bleibt, weil unsere Studierenden durch SPORT VERNETZT ganz viel lernen werden und das Projekt weiter wissenschaftlich flankiert werden sollte. Ich würde mir auch wünschen, dass sich Vereine in Lüneburg noch mehr auf den Weg machen, den Kontakt zur Schule finden und ihre Angebote im Hinblick auf Kinder und Jugendliche schärfen, die bisher nicht am Vereinssport partizipieren. Je nach Wohnort erreichen bis zu 20 Prozent einer Altersgruppe keinen Schulabschluss und sind in der Regel auch für den organisierten Sport schwer zu erreichen. Diese Kinder frühzeitig zu identifizieren und mit ihnen positive Sporterlebnisse zu schaffen, muss das Ziel sein. Mal rauskommen aus dem Stadtteil und der eigenen Blase, soziale Milieus durchmischen – das ist ein Weg aus der sozialen Segregation! Die ALBA Grundschulliga ist ein positives Beispiel, wie das gelingen kann. Sport schafft Begegnung und Begegnung schafft Haltung.

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